Zuhören - Mitteilen
Vor einigen Jahren wurde ich einmal auf eine gewisse Schweigsamkeit angesprochen, die ich mir mehr unbewusst als bewusst zu Eigen gemacht hatte. Es gab damals wohl eine für andere wahrnehmbare Veränderung in meinem Kommunikationsverhalten – vom gesprächigen Zeitgenossen zum eher stillen Beobachter. Ich habe auf diese Ansprache geantwortet, ich würde für mich eine Zeit des Zuhörens angebrochen sehen. Es war nicht so, dass ich nicht situativ immer wieder auch etwas zu sagen gehabt hätte – und ich bin ja auch nicht in die völlige Mitteilungslosigkeit verfallen. Ich hatte aber beobachtet, dass dem Meisten, das ich von mir gab, etwas Repetitives anhaftete. Und war es nicht repetitiv, dann war es belanglos. Und war es nicht belanglos, so war es doch unnötig. Es brachte nur in seltenen Fällen etwas wirklich Wert- oder Sinnstiftendes in die Gespräche und Beziehungen, in die ich involviert war.
Nun bin aber auch ganz und gar nicht frei von einer gewissen Eitelkeit. Wenn sich in bestimmten Situationen ein Gedanke in mir erhebt, der mir gescheit erscheint, dann verspüre ich durchaus den Drang, diesen auch zu äußern – häufig um schon im Zuge seiner Äußerung zu erkennen, dass er weder ausgereift noch zu Ende gedacht ist. Und falls das doch einmal in ausreichendem Maß gegeben ist, zerschellt meine kurz auflodernde Mitteilsamkeit am Unvermögen, dem Gedanken als Geburtshelfer am Weg in die Welt auch den passenden Ausdruck zu verleihen. Auch überschätze ich allzu häufig die Bereitschaft meiner Mitmenschen, meinen mühsam Gestalt annehmenden Ideen zu folgen. Ich verzerre meine Botschaft bis zur Unkenntlichkeit, indem ich bei meinen Ausführungen jede sich bietende gedankliche Abzweigung nehme und so den Kern meiner Sache an die Peripherie dränge. Letztlich bedauere ich eine nicht überlebensfähige, intellektuelle Frühgeburt, die fruchtlos zerrieben wurde im lauten Gewirr der kollektiven Debattier- und Mitteilungslust.
Zu einem anderen Teil ist meine Schweigsamkeit auch einer Erschöpfung geschuldet, die sich bei mir im Kampf um das Wort und die Aufmerksamkeit sehr rasch einstellt. Ich ziehe nicht ins Gefecht, um Gehör zu finden. Manchmal, wenn es mir die Sache wert erscheint, wiederhole ich eine Überlegung - einmal mit Erfolg, das andere Mal ohne denselben. Aber ich reihe mich nicht gerne ein in die Schar derjenigen, die sich als Speerspitze der Meinungsbildner verstehen. Jedoch bin ich auch nicht gut geeignet für die zweite Reihe. Ein Dilemma, aus dem sich ein Ausweg über das Schweigen finden lässt. So finde ich mich in der Position eines Mannes, der noch nichts gesagt hat – aber vielleicht etwas zu sagen hätte. Eine manchmal etwas unwürdige strategische Positionierung.
Es klingt hochmütig – es ist hochmütig - aber mir fehlt auch zunehmend die Bereitschaft, die Borniertheit mancher Zeitgenossen auszugleichen, um mich ihnen auf der Verstandes- und Argumentationsebene anzunähern. Diese Borniertheit entspringt sicher häufig einem intellektuellen Unvermögen, aber noch häufiger meine ich, eine Bequemlichkeit und einen Widerstand zu erkennen, ausgedrückt durch einen Unwillen, auch nur wenige Schritte zu tun, um in einen befruchtenden Austausch zu kommen. Zu viele beziehen schon Stellung, während ich einen Gedanken noch gar nicht zu Ende gedacht habe. Zu viele arbeiten schon an einer Antwort, bevor noch eine Frage gestellt wurde. Ich mag das nicht.
Vielleicht – so trage ich derzeit jedenfalls einen Gedankenspross in mir – vielleicht bricht nun aber wieder eine Zeit der Mitteilung, der Äußerung, des Ausdrucks an. Jedenfalls spüre ich einen noch zaghaften inneren Impuls. Es fühlt sich so an – es kann aber auch ganz anders sein. Dabei widerstrebt es mir aber gänzlich, mich in den oft so fruchtlosen und abstoßend narzisstischen Kosmos sozialer Medien und Communities zu begeben, in dem jede Äußerung umgehend bewertet, zermahlen und zerrieben wird. Ich spüre, dass ich dort nichts verloren habe.
Noch erwarte ich kein Gegenüber, das meinen Überlegungen folgt, noch habe ich nicht die erste Sprosse einer Leiter erklommen, die mich nach oben führt. Wobei oben noch recht undefiniert ist. Aber oben – das klingt nach Überblick, nach weiterem Horizont, vielleicht nach Klarheit. Man wird sehen.