Alleinsein und Verbundenheit (Solitude and connectedness)
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Friedrich Nietzsche ist dafür bekannt, gehend oder wandernd den Weg in die Einsamkeit gesucht zu haben. In Sils-Maria im Engadin unternahm er ausgedehnte, stundenlange Spaziergänge. Mit dabei hatte er ein Notizbuch, in dem er seine Gedanken unmittelbar fest hielt. Für Nietzsche waren Wanderwege zugleich Denkwege. Er war kein Gipfelstürmer, er bewegte sich dabei auf kein äußeres Ziel hin. So war für ihn im wörtlichen Sinne der Weg das Ziel. Im rhythmischen Gehen begegnete er sich selbst und konnte so in einen inneren Dialog treten.
Er verstieg sich letztlich zu der Aussage: "Nur ergangene Gedanken haben einen Wert."
Es waren keine Spaziergänge, die ihn nur an die frische Luft bringen sollten. Es waren Wege, auf denen er versuchte, den Lärm der anderen, den Lärm der Welt hinter sich zu lassen.
Alleinsein bedeutete für ihn nicht als erstes Rückzug, sondern das Betreten eines inneren Raumes, in dem seine Gedanken erst richtig atmen konnten. Oft führte ihn der Weg stundenlang durch steinige Bergpfade im Engadin oder rund um Sils Maria, bis er - weit abseits von der Betriebsamkeit der Menschen - jenes Echo seiner eigenen Stimme vernahm, das ihm sagte, dass er bei sich angekommen war. In seinen Aufzeichnungen notierte Nietzsche einmal:
"Ich brauche die Einsamkeit – nämlich die Genesung, die Rückkehr zu mir selbst, den Atem einer freien, leichten, spielenden Luft."
So hatte Nietzsche das Alleinsein entdeckt: nicht als Last, sondern als notwendige Bedingung dafür, die Gedanken klar und scharf werden zu lassen, wie Bergluft, die jede Täuschung vertreibt.
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Ich halte die Klärung der eigenen Gedanken ohne Abkürzungen für eine der wichtigsten Vorbedingungen eines fruchtbaren Dialoges. Dabei wird ein Gedanke erst in Resonanz mit meiner Identität zu meinem Gedanken, für den ich in einem Gespräch einstehen kann. Würde ich künstliche Intelligenz nutzen, um einen "Gedanken" zu entwickeln, so bekäme ich einen grammatikalisch korrekten Textbaustein. Aber was hätte das mit mir zu tun? Bei künstlicher Intelligenz handelt es sich nicht einmal um einen Gedanken, da er in Wahrheit eben nicht gedacht wurde sondern eine auf Wahrscheinlichkeit beruhende Aneinanderreihung von Wörtern ist, die Regeln der Syntax und der Grammatik befolgt.
Aber zurück zur Strategie des Alleinseins als Weg zu eigenen Gedanken: Hier braucht es eine gute Unterscheidung zum Begriff der Einsamkeit.
Während uns die Einsamkeit quält, fordert uns das Alleinsein heraus. Michael Lehofer beschreibt in seinem Buch "Mit mir Sein" die Einsamkeit als "Seekrankheit der Seele". Über das Alleinsein sagt er: "Jeder Moment, den wir wirklich alleine verbringen, ist ein wertvoller Moment." Aus seiner psychotherapeutischen Praxis weiß Lehofer: "Nicht allein sein zu können ist ein starker Hinweis, sich selbst nicht lieben zu können." Und so führt mich mein Nachdenken über eigene Gedanken am Ende wieder einmal - und wie jede wichtige Frage - zum Thema meiner Beziehung zu mir selbst. In diese Beziehung zu investieren gelingt am besten unter der vertrauten und sicheren Form des Alleinseins.
Glenn Gould hat in einem Interview einmal sinngemäß gemeint: Für jede Stunde, die man mit anderen verbringt, ist eine bestimmte Anzahl von Stunden alleine notwendig. Ich muss sagen, dieser Ansatz gefällt mir sehr! Nicht Isolation und Weltabgewandtheit sind das Ziel. Man braucht das eine wie das andere. Aber das Verhältnis von Verbundenheit mit anderen und der Verbundenheit mit sich selbst ist unproportional! Das ergibt sich schon aus der bloßen Tatsache, dass man mit niemandem so viel Zeit verbringt wie mit sich selbst.
Solitude and connectedness
Friedrich Nietzsche is known for having sought solitude by walking or hiking. In Sils-Maria in the Engadin, he took long walks lasting several hours. He carried a notebook with him in which he immediately recorded his thoughts. For Nietzsche, hiking trails were also paths of thought. He was not a mountaineer; he did not move toward any external goal. For him, the path was literally the goal. In his rhythmic walking, he encountered himself and was thus able to enter into an inner dialogue.
He ultimately went so far as to say, "Only thoughts that have been walked have value."
These were not walks intended merely to get him some fresh air. They were paths on which he tried to leave behind the noise of others, the noise of the world.
For him, being alone did not primarily mean retreating, but entering an inner space where his thoughts could truly breathe. Often, the path led him for hours through rocky mountain trails in the Engadin or around Sils Maria until, far away from the hustle and bustle of people, he heard the echo of his own voice telling him that he had arrived at his destination. In his notes, Nietzsche once wrote:
"I need solitude—namely, recovery, a return to myself, the breath of free, light, playful air."
This is how Nietzsche discovered solitude: not as a burden, but as a necessary condition for allowing his thoughts to become clear and sharp, like mountain air that dispels all deception.
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I consider the clarification of one's own thoughts without shortcuts to be one of the most important prerequisites for a fruitful dialogue. Only when a thought resonates with my identity does it become my thought, one that I can defend in a conversation. If I were to use artificial intelligence to develop a "thought," I would get a grammatically correct text module. But what would that have to do with me? Artificial intelligence is not even a thought, because in reality it was not thought but is a string of words based on probability that follows the rules of syntax and grammar.
But back to the strategy of being alone as a way to your own thoughts: Here, a clear distinction must be made from the concept of loneliness.
While loneliness torments us, being alone challenges us. In his book "Mit mir Sein" (Being with Myself), Michael Lehofer describes loneliness as "seasickness of the soul." About being alone, he says: "Every moment we spend truly alone is a precious moment." From his psychotherapeutic practice, Lehofer knows: "Not being able to be alone is a strong indication of not being able to love oneself. " And so, in the end, my reflections on my own thoughts lead me once again—as with every important question—to the topic of my relationship with myself. Investing in this relationship is best achieved in the familiar and safe form of being alone.
Glenn Gould once said in an interview: For every hour you spend with others, a certain number of hours alone are necessary. I must say, I really like this approach! The goal is not isolation and withdrawal from the world. You need both. But the relationship between connectedness with others and connectedness with yourself is disproportionate! This is evident from the simple fact that you spend more time with yourself than with anyone else.
Translated with DeepL.com